Blogparade: Thesen zur nächsten Gesellschaft
Wie müssen Organisationen (heute) im Kontext einer nächsten – vom Computer geprägten Gesellschaft – gedacht, entworfen, beraten und letztendlich auch gemanagt und geführt werden?
Haben Sie an Ihrem Arbeitsplatz schon mal einen Serverausfall erlebt? – Ich freue mich dann immer, dass die Kaffeemaschine noch nicht in an den Server angeschlossen ist. Wenn dann auch noch der Strom ausfällt – was, zumindest durch Bauarbeiten verursacht, ab und an mal passiert – fällt auch diese Option weg. Mein Soziologieprofessor – ein Vorreiter für Onlinewahlen – befand sich in einem Bankschaltervorraum, als der Strom für mehrere Stunden ausfiel. Der Automat ging nicht mehr, auch die elektrische Schiebetür ließ sich nicht mehr öffnen.
Zugegeben, diese Episoden prägen unseren Alltag heute nicht, und sie haben keinen großen Einfluss auf die Organisationsfrage, auch wenn z.B. im September dieses Jahres ein Stromausfall in den USA über 6 Millionen Menschen betroffen hat. Doch stehen auch morgen alle Ressourcen zur Verfügung, die wir heute und in den letzten Jahrzehnten für selbstverständlich gehalten haben? Von welchen hochkomplexen Systemen und einfachen Ressourcen sind Organisationen heute abhängig? Auch aus psychologischer Sicht sind diese Fragen interessant, da wir dazu tendieren, potentielle Krisen und große Probleme eher wegzuschieben als sie anzugehen.
Redundanz und Resilienz
Im Kontext von Datenbanksystemen ist mir das erste Mal der Begriff der Redundanz begegnet: Wie können Informationen so gespeichert werden, dass Dopplungen so gut es geht verhindert werden können? Inzwischen werden Server bewusst mit redundanten Systemen gekoppelt, um die Folgen eines Ausfalls zu reduzieren, oder, systemisch gesprochen, die Resilienz und so die Widerstandsfähigkeit eines Systems zu erhöhen. Wir sprechen von Systemen und somit von skalierbaren Prinzipien: Wenig Redundanz ist kurzfristig effizienter, langfristig jedoch instabil. Ein Großteil bestehender Ökosysteme zeichnet sich z.B. genau durch diese Eigenschaft aus: sie alle sind krisenresistent – sonst würden sie nicht mehr existieren.
Der Erdbeerjoghurt
Intellektuell anregend ist die Beschäftigung mit hochgradig spezialisierten Fragestellungen komplexer Organisationen. Scheinbar triviales wird ignoriert, z.B., wie eigentlich Erdbeerjoghurt hergestellt wird. Was können Organisationen von morgen aus der Produktion von Joghurt heute lernen?
In der Grafik werden die Transportwege zur Produktion von Erdbeerjoghurt dargestellt.
Ein durchschnittlicher, in Stuttgart hergestellter Erdbeerjoghurt und seine Bestandteile und Behältermaterialien reisen insgesamt 3500 km weit. 4500 km werden zuvor von den Grundstoffen zurückgelegt, die an die Zulieferer der Meierei gehen.
Quelle: Faktor Vier von Ernst Ulrich von Weizsäcker, Amory B. Lovins und L. Hunter Lovins Droemer Knaur, München
Fazit: Die Produktion des Joghurts ist aus marktwirtschaftlicher Sicht hochgradig effizient. Günstiges Erdöl optimiert den komplexen Entstehungsprozess. Auf den ersten Blick könnte man gar behaupten, die Produktion sei resilient, denn selbst wenn Produzenten von Teilprodukten ausfielen, ließen sich über den Markt neue finden.
Allerdings funktioniert dieser globalisierte Markt nur mit Unmengen günstiger Energie, mit der Transportkosten auf ein Minimum reduziert werden, und weil die politische und finanzielle Situation komplexe Handelsketten verlässlich ermöglicht.
Effizienz vs. Resilienz
Effizienz wird somit durch bestehende Rahmenbedingungen definiert. Organisationen richten sich meist langfristig auf diese stabilen Rahmenbedingungen ein. Im Rückblick über die letzten Jahrzehnte war das lukrativ. Ich gehe in diesem Beitrag nur auf die Transportwege ein, die auf günstiges Erdöl angewiesen sind. Steigt beispielsweise der Preis für Erdöl, ist ab einem bestimmten Punkt die jetzige Produktionsweise nicht mehr effektiv. Falls Sie jetzt hoffnungsvoll an Elektromobilität denken: Es gibt zur Zeit keinen einzigen elektrisch betriebenen LKW auf deutschen Straßen.
Transport wird teurer
Die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Preis für Erdöl nicht nur um den Faktor 3, wie zwischen 2004 und 2008, erhöht, sondern in den nächsten Jahren um den Faktor 10, ist recht hoch, da die aktuelle Produktion von Erdöl nicht wesentlich gesteigert werden kann. Gleichzeitig steigt der Erdölverbrauch durch die Nachfrage durch aufstrebende Schwellenländer aber massiv.
Steigender Verbrauch + sinkendes Angebot + Märkte = schwankend steigende Erdölpreise.
Folgen für Organisationen
Während es jetzt noch darum geht das Spiel in Konkurrenz zu anderen möglichst gut zu spielen, würden durch massiv ansteigende Transportkosten die Spielregeln geändert. Effizient ausgerichtete Unternehmen wären von heute auf morgen ineffizient, wenn viel zu viel Mittel für Transport ausgegeben werden müssten.
Daraus folgt:
- Organisationen sollten sich offen mit solchen Szenarien auseinandersetzen und nachvollziehen, auf welche Art sie betroffen wären. Nur so können sie feststellen, wo hohe Abhängigkeiten bestehen und wie diese angegangen werden könnten.
- Wandelfähigkeit ist eine Schlüsselkompetenz für Unternehmen. Sie bezieht sich nicht nur auf einzelne Produkte, sondern auf die ganze Organisation an sich.
- Sich mit solchen Krisenszenarien zu befassen ist essentiell, aber psychisch anstrengend. Einfacher scheint es, potentielle Krisen zu ignorieren. Hilfreich gegen die allzumenschliche Neigung, möglicherweise unangenehme Wandelprozesse so lange wie möglich auszublenden, kann die Arbeit mit positiven Visionen sein, die aus dem kreativen Potential der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiten heraus entstehen können.
- Was ist heute anders als in Zeiten, als andere Krisen vor uns standen? Not macht auch heute noch erfinderisch, aber erfinderisch sein geht besser mit PC und Internet. Der große neue Vorteil: Erfahrungen können einfacher geteilt werden. Auch besteht die Möglichkeit, über Orts- und Unternehmensgrenzen hinweg mit anderen neue Ideen zu entwickeln. Somit steigt die Anpassungsgeschwindigkeit für Organisationen, die Übung im Umgang mit diesen Medien und Methoden haben. Schon heute werden z.B. Maschinen, ähnlich wie Open Source Software, kollaborativ entwickelt und verbessert (siehe z.B. Open Farm Tech).
hallo ingo. irgendwie lustig, hier der karte des erdbeerjoghurts wieder zu begegnen, die ich auch schon eingesetzt habe 🙂
hoffe bei euch geht alles seine konstruktiven bahnen. ich will gern noch auf den vortragsmitschnitt hinweisen, der im oktober in dresden mit christoph senz entstand. damit nochmal klar wird, warum wir dringend mehr resilienz brauchen:
http://www.youtube.com/watch?v=1q1ZUsmBKyU
grüße aus dresden!
norbert
Hallo Norbert, danke für die beiden Vorträge: Den ersten habe ich mir gerade angesehen und wieder etwas dazugelernt 🙂 Viele Grüße aus Eberswalde, Ingo
In der ZEIT gab es mal einen Artikel über Rasierer von Braun, die in sieben verschiedenen Ländern auf verschiedenen Kontinenten gefertigt werden. Im Land A gibt es billige Arbeitskräfte, in Land B moderne Fabriken, in Land C die Entwickler etc. Müsste nicht die Umwelt die ökologischen Kosten dieser Praxis tragen, sähe das wohl anders aus. Gut dass der Ölpreis steigt.
Hi Christian, ich bin auch der Meinung, dass Preise für nicht erneuerbare Ressourcen steigen sollten. Leider ist das nicht so einfach zu sagen „gut wenn Öl teurer wird“, denn dann werden auch automatisch Lebenesmittel teurer, was die Armen dieser Welt start trifft. Für uns bedeutet dass: Fast alle Produkte werden teurer…